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Alle zwei Jahre legt die Stadt einen etwa tausendseitigem Haushaltsentwurf vor. Wir haben am Beispiel des Radverkehrs unseren Handlungsspielraum ausgelotet, der sich daraus ergibt.

Das Land Baden-Württemberg plant bis 2030 eine Reduktion des CO2 Ausstoßes im Verkehr um 55%. Man sollte also meinen, hierfür größere Ausgabenpositionen im Haushalt zu finden.

Aber Pforzheim plant eine Reduktion der Mittel für die Umsetzung des Radverkehrskonzeptes von 2023 auf 2024 um 45% (von TEUR 500 auf TEUR 275) und von 2024 auf 2025 um 55% (von TEUR 275 auf TEUR 150). Man findet das z.B. mit einer Textsuche nach „Radverkehr“. Und selbst wenn Ausgaben geplant werden, werden diese nicht durchgeführt: statt der im vorhergehenden Haushaltsplan für 2022 geplanten Investitionen in Höhe von TEUR 500 weist die Position im Haushaltsplan 2024 in der Ist-Spalte für 2022 negative (!) tatsächlich getätigte Investitionen von TEUR 24 aus (Seite 624 des Haushaltsplans 2024). Damit haben wir Radverkehrsaktivist:innen vor zwei Jahren einen wichtigen Beitrag zur Sanierung der Stadtfinanzen geleistet, denn die halbe Million an Ausgaben, die nach unserem Gang durch die Fraktionen für Investitionen in den Radverkehr vorgesehen und dann nicht getätigt wurden, waren blockiert und konnten an anderer Stelle nicht ausgegeben werden. Eine Perspektive, die den Verantwortlichen sicherlich damals bereits realistisch schien.

Der Hintergrund dafür ist, dass es sich bei der Umsetzung des Radverkehrskonzepts um eine Position im Investitionshaushalt handelt (die Position lautet „I54100020324“). Und Investitionen werden nur angenommen, wenn die Straße „verbessert“ wird, oder wenn neues errichtet wird (siehe auch für Radabstellanlagen an Schulen: TEUR 125 (Seite 626) und Vollausbau Westliche mit Radweg: TEUR 1.640 (Seite 650) – wobei die Umsetzung des Radwegs an dieser Stelle aktuell noch in den Sternen steht) . Wenn lediglich Striche auf die Straße gemalt werden, wie in Pforzheim üblich, dann handelt es sich nach der Logik der Haushälter (und auch mancher Radfahrer:innen 🙂 ) nicht um eine Verbesserung der Straße. Deswegen werden diese Ausgaben dem konsumptiven Bereich zugeordnet und daher dem „Ergebnishaushalt“ entnommen und nicht dem „Investitionshaushalt“.

Der Oberbürgermeister spricht von Sparanstrengungen und dass kein Geld da sei. Um sich von diesem „nichts“ gleich mal einen ordentlichen Puffer zu reservieren, plant die Stadt nicht nur bei den Radverkehrsinvestitionen mit Luftnummern. Seit über zehn Jahren plant die Stadt mehrere Millionen EUR zu viel an Personalausgaben (siehe Seite 42 des Personalberichts 2024; für 2022 plante die Stadt im vorigen Haushalt Mio EUR 149,9 für Personal, gab aber tatsächlich nur Mio EUR 145,1 für Personalaufwendungen aus, siehe Seite XXXIII des aktuellen Haushalts und XXXIII des vorherigen Haushalts). Das liegt daran, dass die Verwaltung es z.B. ablehnt, für die weiter über hundert offenen Stellen im Bereich „Kita“ eine bessere Entlohnung, günstige Wohnungen oder sonstige Vorteile auszuloben. Da sich daran über die Jahre hinweg nichts geändert hat, ist davon auszugehen, dass die Verwaltung im Interesse einer falsch verstandenen Sparpolitik lieber den Mangel verwaltet als die Zukunft zu gestalten.

Die von der Stadt für den Radverkehr durchgeführten Straßenbemalungen sind so billig, sie sind praktisch ein Nasenwasser im Vergleich zur Größenordnung allein nur der in die größeren Haushaltspositionen eingeplanten Puffer. Grundsätzlich enthalten sind die konsumptiven Ausgaben für den Radverkehr regelmässig in den „Aufwendungen für Sach- und Dienstleistungen“ (Position 14) der Haushaltsposition 5410 „Gemeindestraßen“ in Höhe von Mio EUR 11 (Seite 553 ff des Haushaltsentwurfs 2024).

Dort enthalten sind TEUR 100 für Markierungen/Beschilderungen/Hartplastik (Seite 554).

Da der Haushalt regelmäßig mit dieser Granularität verabschiedet wird, hat die Stadt somit Entscheidungsfreiheit um je nach Belieben diese Mittel für die Radwegebemalung oder für breitere SUV-gerechte Parkplatzmarkierungen auszugeben. Immerhin haben wir aktuell eine Baubürgermeisterin aus einer Partei, die sich den Radverkehr auf die Fahnen schreibt. Diese kann jedoch in alleiniger Entscheidung die Puffer, z.B. aus dem Personalbereich, nicht umschichten.

Was uns zu der Frage führt, was können wir bei dieser Gemengelage vor den Haushaltsberatungen eigentlich für Forderungen stellen, die den Radverkehr tatsächlich voran bringen.

Investitionen für den Radverkehr wären z.B. Gehwegabsenkungen, bauliche Trennung des Radverkehrs oder eine sonstige bauliche Umgestaltung des Straßenraums im Interesse des Radverkehrs. Diese könnten wir z.B. für eine fahrradfreundliche Umgestaltung der Kreuzung HWA/Hohenzollernstraße fordern oder auch für die fahrradkompatible Umgestaltung der Steubenstraße (= den potentiellen Enztalradweg auf der Südseite der Enz, den der OB schon frür vor drei Jahren versprochen hat).

Über Eure Vorschläge und Rückmeldungen würden wir uns freuen.

Hier nochmal alle Quellen:

Haushaltsentwurf 2024/2025: https://www.pforzheim.de/fileadmin/user_upload/haushalt/hh2023_2024/HHPL_2024_2025_-_Entwurf_komprimiert.pdf

Personalbericht 2024: https://www.pforzheim.de/fileadmin/user_upload/hauptamt/personal/20231108_personalbericht.pdf

Haushalt 2022/2023 (für den Vorjahresvergleich): https://www.pforzheim.de/fileadmin/user_upload/haushalt/hh2022_2023/eng%C3%BCltiger_HHPL_2022_2023_Internet.pdf

[dieser Artikel wurde am 12.12. ergänzt um die Haushaltsplanpositionen bzgl. Abstellanlagen, Vollausbau Westliche und Markierungen/Beschilderungen/Hartplastik]

Kim Späth, Kandidatin der Jungen Liste bei der Pforzheimer Gemeinderatswahl 2019, hat am 17.10.2020 in der Pforzheimer Zeitung unter dem Titel „Achtung Kontrolle: Rechte und Pflichten von Fahrradfahrern“ eine Polemik gegen Radfahrer veröffentlicht. Die Junge Liste ist uns als Vertretung der Jungen Union bekannt. Da noch vor Kurzem Stadtrat Sarow von der CDU bei der Gemeinderatssitzung im Juni allen Anwesenden die Vorteile des Radverkehrs erläuterte, haben wir uns gewundert, dass die CDU inzwischen fortschrittlicher ist als ihre Nachwuchsorganisation:

Höhepunkte des Aufsatzes von Frau Späth waren die Aussagen, in Pforzheim gäbe es 100 km Radwege, wieso die Radfahrer nicht dort fahren würden und dass „einige Radfahrer“ sich nicht an die Regeln halten würden, „die meisten Autofahrer“ aber schon. Dies vor dem Hintergrund, 

  • dass die 100 km Radwege wohl im Wald verlaufen, denn in der Innenstadt fehlt fast jede Spur davon,
  • dass die Mär vom Velorowdy längst enttarnt ist,
  • dass das Ordnungsamt diverse Mitarbeiter ausschließlich mit den Geldern aus Ordnungswidrigkeiten von Autofahrern bezahlen kann, und
  • dass die Stadtverwaltung unter CDU-Oberbürgermeister Boch jüngst die Notwendigkeit der Mobilitätswende erkannt hat.

Will sich Frau Späth hier auf eine Linie mit AfD-Stadtrat Bamberger stellen? Der AfD-Mann äußerte auf der Gemeinderatssitzung im Juni 2020, in Deutschland würden Autos produziert, man bräuchte keinen Radverkehr in Pforzheim.

(von West nach Ost ist der Gehweg auf dem Foto zugleich auch der Radweg)

Am 29. Mai 2016 schrieb die PZ , die frischgebackene Baubürgermeisterin Sibylle Schüssler wolle „den Enztalradweg schon auf Höhe des Messplatzes auf die rechte Seite verlegen, wie vom Verkehrsclub gefordert, und über die Jörg-Ratgeb-Straße bis zum Steg am Waisenhausplatz führen. Dort könnten Radler die Seite wieder problemlos wechseln“. (Artikel „Mehr Pforzheimer sollen auf’s Rad“ von Martina Schäfer).

Im Mai 2017 übernahm OB Peter Boch die Verantwortung im Pforzheimer Rathaus. Anlässlich einer Unterschriftenaktion der Critical Mass und in Reaktion auf diverse Unfälle versprach er am 12. September 2019, noch im Frühjahr 2020 den Radweg auf die südliche Seite der Enz zu verlegen (Artikel „Radweg wird in die Ratgeb-Straße verlegt“ von Ulla Donn-von Yrsch im Pforzheimer Kurier vom 13. September 2019).

https://www.fahrradstadt-pforzheim.de/wp-content/uploads/2020/04/PK-Artikel-Enztalradweg-19_09_13-Boch-verspricht-ihn-auf-die-Suedseite-zu-verlegen.pdf

Eine so kurzfristige Terminplanung war zu mutig für Pforzheimer Verhältnisse, wie sich in der Folge herausstellte.

Auf die Frage des Stadtrats Christof Weissenbacher an Herrn Auer (Leiter des Pforzheimer Grünflächen und Tiefbauamtes) im Planungs- und Umweltausschuss am 05.02.2020 ob denn nun die Verlegung des Radwegs von nördlich der Enz auf südlich der Enz in diesem Frühjahr stattfinden würde, teilte dieser mit, „dass aufgrund der Zeitläufe für Ausschreibungen die Verlegung erst im Herbst erfolgen kann“. (lt. Bürgerinformationssystem, TOP Ö 5).

Im Oktober 2023 findet anlässlich der Critical Mass eine Gedenkbefahrung des nach wie vor auf der nördlichen Seite der Enz befindlichen Enztalradwegs statt.

Wir werden das weiter beobachten.

Besonders erstaunlich ist der Verlauf des Enztalradwegs entlang der Bissinger- und der Simmlerstrasse durch eine Shisha Bar (siehe Bild), wo man praktisch während der Fahrt dem Ober die Getränke vom Tablett nehmen kann. Im weiteren Verlauf verläuft sie über den Eingang zum Friseurgeschäft „Barbers“ und durch ein Restaurant. Die Strecke, die offiziell als touristisches Angebot bis Bad Liebenzell angepriesen wird, ist besonders für Fussgänger gefährlich, da der Radweg der Gehweg ist. Es wurde bereits von diversen Unfällen berichtet.

Die Critical Mass führte daher dort unter anderem im Rahmen der Aktion „Ab in den Süden“ eine Intensivbefahrung durch, sowie eine Unterschriftenaktion. Als Reaktion auf die Unterschriftenaktion versprach OB Boch im September 2019 die Verlegung des Enztalradwegs auf die Südseite der Enz.

(der händische Datumseintrag auf dem oben verlinkten Artikel ist ein Jahr zu spät – der Artikel erschien in 2019)

Im Oktober 2023 findet anlässlich der Critical Mass eine Gedenkbefahrung des nach wie vor auf der nördlichen Seite der Enz befindlichen Enztalradwegs statt.